sehr geehrtes präsidium, liebe stadtverordneten,
wir stimmen heute über die erneute offenlegung des bebauungsplans am bahnhof ab. wir stimmen also im direkten sinne vor allem darüber ab, ob sich die abwägungen der vielen einwendungen mit unseren grundsätzen decken, und ob die neuen änderungen in unserem sinne sind.
wir entscheiden aber auch, ob wir dem prozess an sich zustimmen, erst tatsachen zu schaffen und dann im nachhinein, nach abschluss der baumaßnahmen noch die bürgerinnen und bürger halbherzig zu involvieren, obwohl zwölf jahre zeit war, den bebauungsplan aufzustellen.
und wir stimmen auch darüber ab, ob wir die bisher ausgeführten baumaßnahmen als lösungen für das heutige zeitalter überhitzter städte und massiver flächenversiegelung für würdig halten.
nicht nur uns, sondern vielen bürgerinnen und bürgern ist es aufgestoßen, dass es so überbreite, versiegelte wege und bürgersteige gibt: warum nicht, gerade im norden etwas größere begrünungsflächen angelegt wurden. weshalb nur extreme minimalwerte beim erdvolumen der baumstandorte gewählt wurden, bei denen sich nicht nur die bäume weigern zu wachsen, sondern auch die ausführende pflanzfirma die verantwortung zurecht nicht übernehmen will.
und fordern die bürgerinnen und bürger dann etwas mehr grün in ihren einwendungen, erhalten sie als antwort, dass das nicht gehe, weil man sich penibel an die vorgaben der stvv halten müsse.
so wird uns auch noch die schuld für diese fehlplanung in die schuhe geschoben.
beim bebauungsplan westring hingegen wurde die wohnungsdichte von 43 we/ha auf 37 we/ha reduziert, obwohl kein stadtverordnetenbeschluss vorlag und darüber hinaus sogar wenige monate zuvor diese idee noch deutlich von den stadtverordneten abgelehnt wurde.
man dreht es sich in den abwägungen also so hin, wie es gerade genehm ist.
es wird ferner so dargestellt, als würde ein mobilitätspunkt nur mit enorm viel überflüssiger versiegelung, baumfällungen und ohne viel begrünung realisiert werden können. die bedingungen vor ort wurden zu wenig berücksichtigt. in den zuständigen ämtern wird das vorhandene stadtplanerische potential gar nicht ausgeschöpft, dort scheint man vielmehr angehalten, weiter nach schema f zu bauen. als müssten wir nicht heute schon die lokalen klimatischen verhältnisse der nahen zukunft mit einplanen.
wir zeigen hier ein weiteres mal, dass die mehrheit in der stvv und in der verwaltungsspitze keinen gestaltungswillen hat. dass wir die werkzeuge der stadtplanung zwar irgendwie bedienen können, sie aber weder was die reihenfolge noch die muße der detaillierten ausgestaltung betrifft, als echtes, leidenschaftliches handwerk anwenden.
es fehlt auch hier ein übergeordnetes konzept, ein ziel, wie man begrüßt werden soll, wenn man mit dem öffentlichen nahverkehr ankommt. und das werden in zukunft immer mehr menschen tun. warum gibt es keine initiativen, den bahnhofsvorplatz mitzugestalten? warum wird nicht versucht, zur bahnhofsstraße hinzuleiten und im besten fall in einem parallelen prozess schon die künftige ausgestaltung dieser straße skizziert, wie in dem einzelhandelskonzept von 2017 vorgeschlagen?
ein moderner knotenpunkt muss auch berücksichtigen, was passiert, wenn der umstieg mal nicht klappt. wenn man im winter in der kälte eine stunde auf den nächsten anschluss warten muss. wenn bei regen nur wenige personen unter die kleine überdachung passen und der rest nass wird, weil die wartemöglichkeiten am bahngleis genauso ausgestaltet sind, wie die einer dorfbushaltestelle in der pampa. natürlich ist hier auch die deutsche bahn gefordert, aber mir ist nichts darüber bekannt, dass bei den vielen abstimmungen im rahmen des bplans dieses thema auch nur angesprochen wurde.
und die fehlplanung hat schon 2013 begonnen, als man die möglichkeit absichtlich nicht genutzt hat, vom vorkaufsrecht beim bahnhofsgebäude gebrauch zu machen.
sich so als stadt in eine abhängigkeit zu bringen, das baden wir bis heute noch aus. und auch wenn in den abwägungen die vielen einwendungen mit dem stichwort „gefälligkeitsplanung“ zurückgewiesen werden, habe ich noch ganz klar die bauausschusssitzung im letzten august in erinnerung:
der kollege marius müller hat damals nach sozialgerechter wohnungsnutzung in diesem baugebiet gefragt. daraufhin haben sie, herr dr. bastian, entgegnet – ich habe mir dazu extra nochmal meine wörtliche mitschrift angesehen: „natürlich will der investor keine sozialen wohnungen, deshalb haben wir das nicht weiter angesprochen und nicht im bebauungsplan aufgenommen.“
außerdem haben sie eingeräumt, dass man bei der gestaltung des bebauungsplans kompromisse mit dem investor machen müsse, weil dieser jederzeit auf die buswendeschleife und einen teil des park and ride parkplatzes wohnungen nach paragraph 34 baugesetzbuch völlig legal errichten dürfte, weil die grundstücke noch nicht endgültig getauscht sind.
wir lehnen den antrag heute ab, weil wir dieses verfahren, die verdrehte reihenfolge, obwohl ausreichend zeit war, ablehnen. weil wir es ablehnen so kontextlos zu entwerfen, so massiv unnötig zu versiegeln und uns durch private investoren in eine solche abhängigkeit zu bringen.
mit vertanen chancen kann man eine stadt auch über die eigene wirkzeit hinweg prägen. aber das haben wir ihnen ja in unserer haushaltsrede schon ausführlich erklärt.
rede in der stadtverordnetenversammlung seligenstadt 04. april 2022